Es ist zu spät

Heinz Rudolf Kunze

Es ist zu spät.
Feierabend, aus, vorbei,
wir schaffen's nicht mehr.
Fünf vor zwölf ist Jahre her,
die Zeit vergeht zwar langsam - aber sicher.
Es ist zu spät.
Wenn schon Politiker in West und Ost verkünden,
es sei noch nicht zu spät,
dann ist alles zu spät.
Wenn die tatsächlich anfangen, sich vor einander
wehrlos zu machen, ihre heißgeliebten Feuerwerkskörper
freiwillig vertilgen, dann müssen sie Angst vor etwas haben,
was noch schlimmer kommt als Krieg.
Es ist zu spät.
Man muß sich mal klarmachen,
was Bäume und Robben üblicherweise alles aushalten.
Wehe denen, die noch immer nicht die Hoffnung aufgeben,
die noch immer sich die Hände reiben
im Schweiße der eigenen Unschuld.
Wehe denen, die noch immer bei sich selbst anfangen,
noch immer gute Beispiele geben von leeren Rängen.
Nicht gedankt wird ihnen werden.
Es ist zu spät.
Jede Sekunde sagt irgendwo irgendein Idiot,
er plötzlich meine dieses oder jenes -
jede Sekunde verschärft eine dieser Unpersonen,
dieser Seinichtse, unsere Strafe.
Unsere Zeit war eine Sorgenfalte Gottes,
wir wurden, haben und sind verloren.
Was also bleibt zu tun?
Das ist Geschmackssache, Geschlechtsverkehr,
Gespräche oder Gin, Hemmungen oder Hemmingway,
I Ging oder Igitt, je nach Lust und Laune,
Blutdruck und Schilddrüsenüber- oder unterfunktion.
Es ist zu spät.
Dafür, daß die Hölle existiert, haben wir gründlich gesorgt.
Im Hinblick auf den Himmel bleibt nur der hoffnungslose Glaube,
daß wir unser Schicksal verdient
und nur noch mit einem zu rechnen haben.
Ich sage euch, es ist zu spät.
Und sagt allen, von wem ihr's zuerst gehört habt.

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