Mein Aufregendes Leben

Heinz Rudolf Kunze

Man grübelt ja oft mal über sowas nach,
aber die meisten schieben es ihr Leben lang,
sogar weit über die Pensionsgrenze hinaus, vor sich her.
Bei mir wurde es ernst, eines Morgens, mitten im Leben.
Zehn Jahre als Blueslehrer an der Volkshochschule Witten waren genug.
Ich wollte nicht mehr arbeiten. Weder für mich noch für andere,
weder zum Broterwerb noch zum Vergnügen, aus und vorbei.
Mein Gewissen unternahm rührende Versuche,
mich umzustimmen.
Ich kaufte mir zwei gigantische Schreibtisch-Ensembles,
nicht eins wohlgemerkt, sondern zwei.
Ich konnte mich zwar kaum noch bewegen in meinem Arbeitszimmer,
aber der moralische Apell, der von ihnen ausging,
war schon enorm. Allein:
Mein schwaches Fleisch ließ sich nicht wieder erhärten.
Ich pendelte zwischen den Dingern in sicherem Abstand,
elegant und skeptisch, wie ein Wildpferd aus der Camargue.
Ich bat meine Frau, mich nicht mehr zu erhören,
bis ich ihr nicht mindestens einen ordentlichen
Fünfzeiler vorzeigen konnte.
Doch ich kaute nur nächtelang Pfeifen zu Bruch,
und irgendwann trafen wir uns triebhaft magnetisch
unter der Dusche und fühlten uns beide als die Klügeren,
wie wir so einsichtig seufzend nachgaben.
VATER! schrie ich schweißgebadet im mitternächtlichen Ehebett,
RETTE MICH! REISS MICH AM RIEMEN!
Doch der kauerte vor einer Fernsehshow
über die Freuden des Geschiedenseins,
giftete dauernd RIEGEL VORSCHIEBEN und UNTERGANG
und verkleckerte massenhaft Bier, wenn er beidhändig
den Humpen hob, in seinen oberschlesischen Handschellen
mit Mutters Monogramm.
Schließlich gab ich den Widerstand auf und
tat keinen Handschlag mehr.
Mein Schädel überzog sich von innen mit saftigem,
dunkelgrünem Moos.
Was die Nachbarn sagen, ist mir egal.
Daß die Kinder bei meinem Anblick lange Mundwinkel kriegen
und der weiße König ihres Computer-Schachs eine Brille trägt,
daß meine Frau sich mehr und mehr für diesen
jungen Masseur mit den funkelnden Augen erwärmt,
der so gut nach Latschenkiefer riecht, schmerzt zwar ein wenig,
doch ich halte es aus.
Bloß jede Nacht dieser seltsame Traum:
Ich stehe auf der Bühne, mit affenscharfer Band,
und singe den Leuten mein aufregendes Leben vor.
Und wissen Sie was?
Manchmal wache ich auf und es stimmt.

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