Die Mittelmäßigkeit
Jeden Morgen das gleiche Ritual.
Jeden Morgen ein Gesicht in gleicher Qual.
Jeden Morgen dieses Fügen
vor dem Spiegel und im Bus.
Jeden Morgen die Fragen,
ob ich will und ob ich muß.
Jeden Tag im Mantel gleiche Haltung.
Jeden Tag meine Meinung aus der Zeitung.
Jeden Tag das Wissen um Veränderung.
Jeden Tag in mir die gleiche Lähmung.
Jede Nacht im Bett den gleichen Vorwurf.
Jede Nacht den gleichen Traum
von Angst und Flucht.
Jede Nacht mit offnen Augen alles sehn.
Jede Nacht zu warten, daß die Ängste gehn.
Jeden Augenblick in eine Lüge quäln,
muß dich betrügen, um nicht durchzudrehn.
Wieder mal wissen, du bist ausgekniffen,
hast dich nicht gestellt,
hast dich selbst verpfiffen.
Die Mittelmäßigkeit
verhindert jeden Streit.
Seh sie oft mit Blättern an den Ecken stehn,
manche jünger noch als ich, wag nicht hinzugehn.
Will vorüber tauchen, merk ´ne Ablehnung in mir,
ohne sie gehört zu haben, ist die Angst in mir.
Bisher hab ich mich noch nie geäußert
über Politik,
wollte nie beteiligt sein, zog mit jedem mit.
Doch sie sagen, mein Schweigen
bringt viel Schlimmes ein.
Es verhilft, daß andere noch viel lauter schrein.
Soll ich in der Mitte stehn?
Soll ich keine Fragen stelln?
Soll ich denn im Rahmen bleiben,
jeden Streit vermeiden?
Geh ich allem aus dem Weg,
noch eh der Kampf beginnt,
haben andre schon,
was ich denken soll, bestimmt.
Die Mittelmäßigkeit
verhindert jeden Streit.