Pause

Das Licht geht aus, der Vorhang auf und das Konzert fängt an.
Die Spannung steigt, die Scheinwerfer zieh'n mich in ihren Bann,
Der Star tritt auf im donnernden Applause.
Ach ist das schön, ach bin ich froh, seit Tagen denk' ich nur daran,
Ich bin so schrecklich aufgeregt, daß ich es kaum erwarten kann:
Ich freu' mich so unbändig - auf die Pause!

In der Pause kann man erstmal seinen Hintermann ansehn,
Vor dem Spiegel Schuppen von der Schulter bürsten,
Am Buffet nach Herzenslust ausgiebig in der Schlange stehn
Nach Käsebroten und erhitzten Würsten.

Man kann lästern, man kann meckern,
Man kann sich mit Senf bekleckern.
Man kann hitzig diskutieren,
Mit daheim telefonieren,
Ob der Babysitter zuhaus ist,
Und das Bügeleisen aus ist,
Bess're Sitzplätze erschleichen,
Oder gar nach Haus entweichen.
Vor Begeisterung ausrasten,
Nach der Kontaktlinse tasten.
Rumstehen bei den Sektglashaltern,
Und ein Viertelstündchen altern
Oder den Künstler belagern, Autogramme hol'n, ja nun,
Der hat in der Pause sowieso nichts sinnvolles zu tun.

Ich tue mir die härtesten und schlimmsten Opern an,
Und das ist manchmal schon verdammt nah an der Folter dran!
Ich bin abboniert und kein Kulturbanause!
Kein Henze und kein Stockhausen,
der mich noch wirklich schrecken kann,
Ich bin so voller Zuversicht, ich weiß ja, ha ha, irgendwann
Hat auch die längste Oper eine Pause!

Aber vorher heißt es erstmal: Schnell die Schuh' wieder anzieh'n,
Und einer ist unterm Vordersitz verschollen,
Und man fahndet und man angelt,Gott sei dank, da hat man ihn,
Doch die Füße sind in Freiheit angeschwollen!
Man kann sich verzückt gebärden
Und den Kaugummi loswerden.
Einen kleinen Streit anfangen,
Eintrittsgeld zurückverlangen
Kragen öffnen, Gürtel schließen,
Sich mit Parfum übergießen,
Rasch den völlig aufgelösten
Hund draußen im Auto trösten,
Niesen, husten, schniefen, schnauben,
Seinen Anspruch höherschrauben,
Mit Theaterkennern schwatzen,
Sich endlich an Stellen kratzen,
Die schon seit Beginn entsetzlich jucken und die man vielleicht
im Konzert, im Sitzen einfach nicht erreicht.

Was auf der Bühne läuft, das ist mir Wurst, ich geb es zu,
Kulturgedöns und ich, das sind zwei Paar Schuh! Na, was glaubst du!
Was auf dem Spielplan steht, wird mitgenommen,
Weil ich hier ungestört bin, weil ich endlich Muße find' und Ruh'.
Was ich hier alles schaffen kann, erledige und mach' und tu -
Dazu würd' ich zuhaus doch gar nicht kommen!

Man kann flirten, man kann baggern, die Sitznachbarin betör'n
Man kann Raucher sehn in den Gelbfingerwinkeln,
Man kann ungestört im Walkman die Lieblingskassette hör'n
Und wer will, kann unter Gleichgesinnten pinkeln,

Oder Kaffee hol'n und Kuchen,
Die Rotkreuzschwester besuchen,
Man kann Ansichtskarten schreiben
Oder einfach draußen bleiben
Oder schon beim allerersten
Pausengong vor Neugier bersten
Sich vorn in die Schlange schummeln
Garderobenmarken verbummeln
Eine Diskussion entfachen
Ein paar Freiübungen machen,
Sich die Fingernägel schneiden
Unter der Aufführung leiden
Schnell noch schubsen, treten, drängeln,
gleich wird man wieder eingesperrt.
Ach, die Pause ist das schönste am Konzert!

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